Text zum Film von Paola Beate von Pückler:


„Das Unterwegs Sein erheitert mich immer“
schrieb Hermann von Pückler-Muskau im 19. Jahrhundert aus Ägypten.

Auf Wanderschaft haben sich Menschen und Tiere notgedrungen schon immer begeben. Nur der Anlass hat sich verändert. Aus der Suche nach den Wurzeln als Ernährung ist bei den neuzeitlichen Menschen die Suche nach ihren eigenen Wurzeln geworden. So gesehen, begegnen die Reisenden nicht nur der Fremde in fremden Ländern, sondern zugleich auch der eigenen Fremde. Versunkene Anteile tauchen aus der sogenannten Vergessenheit wieder auf, wenn sich Begegnungen mit dem Unbekannten ereignen . Im Begriff der Erfahrung steckt ihr Ursprung: das Fahren, worunter jede Bewegungsform von einem Ort zum anderen zu verstehen ist.

Wie aber sind diese Vorgänge zu dokumentieren, um sie Anderen vermitteln zu können?

Das Vorhaben, die fremde Wirklichkeit zu beschreiben, scheitert an der Erkenntnis, dass in jeder Beobachtung der Beobachter involviert ist. Die Wahl der Bildausschnitte und der Wörter ist bereits die erste Interpretation, in die sich eine Bewertung einschleicht, auch wenn dies nicht beabsichtigt ist.

Wie kann die Echtheit eines Dokumentes festgestellt werden? Von der Lösung dieses Problems beziehen die Rechtsgelehrten ihre Legitimität. Sie kümmern sich um die wirkliche Wirklichkeit, soweit sie zu finden ist.

Ein Dokumentarfilm generiert Wirklichkeiten, um den Betrachter das Verborgene, das nicht zu Beschreibende erahnen zu lassen. Die Authentizität des Kamerablicks und des Ausschnitts der Bilder, sowie die Bildmontage, bringen eine neue Wirklichkeit hervor. Dadurch werden mit ikonischen (abbildenden) und indexikalischen (hinweisenden) Zeichen, Symbole gesetzt, die über den grössten Freiheitsgrad verfügen.
Einige Filmemacher haben begriffen, dass es die eine Realität genau so wenig gibt,
wie die sogenannte Objektivität.Es kommt zu Grenzüberschreitungen, wenn sie sich in das zu „Dokumentierende“ einlassen.
Dadurch fächern sich endlose Realitäts-Bezüge auf und werden durch Zeichen von Zeichen von Zeichen entschlüsselt.

Aus dem Absterben des „objektiven Dokumentarfilms“ ist der intersubjektive Dokumentarfilm erwachsen, frei von Eingrenzungen in ein Weltbild, das es seit Einstein nicht mehr gibt.

Im Orient hat es diese Einteilung zwischen objektiv und subjektiv, Körper und Geist, gut und böse nie gegeben. Das westliche Entweder/ Oder ist den grossen arabischen, persischen und indischen Philosophen und Wissenschaftlern fremd. Sie sprachen und dachten schon immer im Sowohl-als-Auch. Ihre Überzeugungen sickerten in alle Schichten der Völker, jenseits des Mittelmeeres, ein. Westwärts blieb es, trotz Relativitätstheorie, beim Cartesianischen, von Kierkegaard zum Buchtitel erhobenen „Entweder/ Oder“. Die Computer-Erfinder übernahmen es gedankenlos als Digital-System. Sie sitzen nun in der Druckertinte ihrer ja / nein- Entscheidung.
Sie sind auf der Suche des Dritten, das dazwischen liegt.
Sie hätten es dort finden können, wo die Null herkommt. Was wären wir ohne die Null? Null!

Mit dem letzten Gedanken haben wir bereits das Mittelmeer überquert.
Dies sind gedachte Grenzen, die sich zeit-räumlich bewegen, verschieben, aufgehoben oder neu gezogen werden. Die Abgrenzungen, Ausgrenzungen und Eingrenzungen haben viele Schlupflöcher und wandern, gleich der Sonne vom Morgenland zum Abendland und wieder zurück im kosmischen und irdischen Kreislauf.


Die Reise nach Ägypten

Wir sind weg, aber noch nicht da. Wir sind dazwischen.
Also haben wir das uns verloren gegangene Dritte erreicht.
Wir sind im grossen Reich der dreiwertigen Logik.
Schnell begriffen wir die Bedeutung des Zufalls, den es nicht gibt, weil in Allahs Reich Allen alles zufällt, die sich die Zeit nehmen, im Jetzt zu reagieren. Wann sonst? Wer nicht in diese andere Raum-Zeit-Dimension eintauchen kann, sollte seine Füsse vom afrikanischen Kontinent weglassen.

Als ich das geliebte Nilland mit meinen Füssen berührte, war es für mich wie ein nach Hause kommen nach 39 jähriger absence. „Sie sind eine von uns“, sagte mir ein Händler vom Khan el Khalili-Markt, als ich ihn damals frug, warum sie mir nicht nachrufen würden, wie den anderen Ausländern. In aller Veränderung entdeckte ich das Beständige – auch bei mir. Wieder erwachte meine sinnliche Wahrnehmung zu ungewohnter Blüte. Das Riechen, Hören und Fühlen erschloss alle Bereiche der übersinnlichen Wahrnehmung, wie Vorahnung und Intuition. Ich liess mich treiben, nicht wie Treibholz, sondern wachsam wie ein Wüstenfuchs. Ich genoss es, als Frau bemerkt zu werden Die Gerüche im Parfum-Bazar taten das Ihrige. Auch Lebenszeit hat hier eine andere Dimension. Die Haltung, der Schritt, die Kleidung und der Ausdruck zählt, nicht das Alter. „Alt, aber schön“, raunte mir ein junger Ägypter im Vorbeigehen zu. Als Alte werde ich nicht nur geehrt, sondern auch begehrt.
Hier wird die Alte la kebirah (die Grosse) genannt.

 
 
 
Als Thomas ein paar Tage später mit seiner Kamera, im Cairener Globetrotter-Hotel Dahab, auftauchte, fühlte ich mich erlöst von meiner erotischen Ekstase, deren Umwandlung die Grundlage meiner Produktivität im Geschichten schreiben wurde Erstaunlich rasch stimmte er sich auf die unbekannte Lebensqualität ein. Wir verbrachten die ersten Tage auf den Strassen von Kairo und Alt-Kahira, assen Köstlichkeiten in kleinen Restaurants und machten verschiedene Bekanntschaften, auch mit Filmleuten. Da wir uns einig waren, ein anderes Ägypten, fern von westlichen Medien-Klischees, aufzunehmen, verliessen wir unser 4-Betten-Quartier und fuhren mit Sack und Pack in das Pferde-Kamel-Dorf, Nazlet-El-Seman, an den Pyramiden von Gizeh.

Durch geduldiges Warten auf den „Nicht-Zufall“, wurde uns die Lösung geschickt – von wem auch immer. „Vertraue auf Allah, aber binde dein Kamel an“, sagt ein arabisches Sprichwort. Wir schlugen unsere Zelte in einer verkommenen Terrassenwohnung inmitten einer von Leben pulsierenden Gasse auf. Gesichert durch ein Hängeschloss, wurde sie zum Pol unserer Vorhaben. Über die mit Tauben, Hühner, Enten und Ziegen belebten Dächer ging unserer Blick auf die Pyramiden, die so gesehen hier zum Alltag gehören. Sie verbinden symbolisch das Leben mit dem Tod. Beide gehen Hand in Hand durch die Gassen, auf den Plätzen und auf den Strassen, gleich einem unzertrennlichen Paar. Sie gehören zusammen wie Gast und Feind, gut und böse, Licht und Schatten.
 
 
Die Begegnung zwischen Leben und Tod findet auf der Strasse statt. Die Kranken werden nicht versteckt, die Krüppel werden nicht versteckt, der Tod wird nicht verstecket. Alles bewegt sich auf der Strasse. Alle blicken sich gegenseitig an. Gegen den „bösen Blick“ hilft das Tragen eines türkisenen Steines. Wenn es eine Farbe der Transzendenz gibt, dann manifestiert sie sich im Türkis des Morgenlandes.

Das „Unterwegssein erheitert“ mich, wie meinen Vorfahren Hermann Pückler. Einer, der falsche Interpretationen zu Mehemmed Alis Reich für das Deutsche Königreich richtig stellte, mithilfe der damaligen Medien, wie z.B. der grossen Augsburger Zeitung.Was ich sehe, höre und erlebe, ist nicht die Meinung der Herrschenden, sondern des Volkes, mit dem ich hautnah in Berührung komme, wenn ich unterwegs bin. Gleiches Land, aber verschiedene Ebenen. Gleiche Leidenschaft für Agrikultur, Pferde und Wüste, aber verschiedene Vorhaben. Geiches Interesse für Politik und Soziales, aber verschiedene Zeiten.

Was von Pücklers Wirken in Ägypten geblieben ist, sind viele beschriebene Blätter, authentische Berichte eines unverwüstlichen, disziplinierten Ästhetikers. Die Einbindung seiner Klasse gab er nie auf, machte aber innerhalb des gegebenen Rahmens das Unmögliche möglich. Darin war er den Ägyptern sehr nahe. Trotzdem hätte er nicht mit ihnen aus einer Schüssel gegessen, wie es hundertundsiebzig Jahre später seine Ur-Urnichte tat.
 
 
Ich reite nicht in Pücklers Spuren, die der Wind verweht hat, ich spure selbst.


paola beate von pückler